Im Land der Diebe und Gangster?

Erstellt am 2018-12-18

Albanien hat international einen schrecklichen Ruf. Als wir Leuten erzählten, dass wir Albanien besuchen würden, waren die ersten Assoziationen von vielen Leuten im Sinne von "Diebe", "Gangster", "Europas Afghanistan". Wir trafen andere Reisende, die selbst nach Albanien wollten, sich aber sorgten, dort überfallen zu werden und es schien eines der Länder zu sein, die unter unseren Freunden und Verwandten die größten Sorgen hervorriefen, wenn wir unsere geplante Route erklärten. Von denjenigen jedoch, die bereits dort gewesen waren, hörten wir nur Gutes, und das ist auch alles, was wir hier berichten können.

Wo immer fuhren, besonders abseits der Hauptstraßen, grüßten die Menschen, Hupten und zeigten uns den Daumen nach oben aus ihren Autos oder winkten vom Straßenrand. Manchmal gaben uns die Leute einige ihrer reichlichen Orangen und wenn wir etwas verloren aussahen bot immer schnell jemand seine Hilfe an. So haben wir uns immer sicher gefühlt, selbst wenn wir an nicht so versteckten Orten wild gezeltet haben. Der Straßenverkehr war auch besser als erwartet. Er ist chaotisch, aber es war nicht zu viel los auf den Straßen und die Autos fuhren relativ langsam.

Unser wildes Camp an einem kleinen See in der Nähe von Thumanë

Unser wildes Camp an einem kleinen See in der Nähe von Thumanë

Während der ersten Hälfte unseres Aufenthalts sind wir relativ ebenen Straßen gefolgt und hatten oft angenehmen Rückenwind, so dass wir recht schnell unterwegs waren. Als erstes hielten wir in Shkodra, wo wir bei einem amerikanischen Paar übernachteten, das anscheinend fast jeden Radreisenden in der Gegend beherbergt. Selbst im November hatten sie jeden Tag mindestens einen Radler zu Gast. Dies hat uns überrascht, da wir entlang unserer Route bisher fast keine anderen Radreisenden getroffen haben und wir uns wundern, welche Routen diese anderen Radler nehmen!

Hannah mit unseren Gastgebern in Shkodra

Hannah mit unseren Gastgebern in Shkodra

Von Shkodra ging es weiter in die Hauptstadt Tirana. Dort besichtigten wir Bunk'Art, eine historische und künstlerische Ausstellung in einem riesigen Atombunker, der zu Zeiten des Kalten Krieges von der kommunistischen Regierung errichtet wurde. Mit zeitgenössischen Kunstobjekten durchzogen, dokumentiert das Museum die Geschichte des modernen Albanien vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des Kommunismus. Ein großer Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit der Zeit unter dem kommunistischen Diktator Enver Hoxha, der, nachdem er an der Macht war, zunächst die Beziehungen zum Westen abbrach, dann die zum benachbarten Jugoslawien, dann nach Stalins Tod die zur Sowjetunion und letztlich auch die zu China, so dass Albanien ohne jegliche Verbündete zu einem der isoliertesten Länder der Welt wurde. Mit einer paranoiden Angst vor Invasion begann Hoxha auch mit einem gigantischen Bunkerisierungs-Programm und ließ 173 371 Bunker im ganzen Land bauen, was einem Bunker je elf Einwohner entspricht. Diese Bunker wurden nie für ihre Bestimmung verwendet und verbrauchten nur Ressourcen, die sonst für andere Formen der Entwicklung hätten genutzt werden können.

Eingang zu "Bunk'Art", einem Museum und Kunstaustellung zum kommunistischen Albanien im riesigen Atombunker des Diktators Enver Hoxha

Eingang zu "Bunk'Art", einem Museum und Kunstaustellung zum kommunistischen Albanien im riesigen Atombunker des Diktators Enver Hoxha

Seit dem Ende des Kommunismus in Albanien 1992 hat sich das Land langsam entwickelt, aber viele Facetten des täglichen Lebens, die wir ständig sehen, erinnern uns an andere Entwicklungsländer, in denen wir schon mal waren. Die extrem freundlichen Leute, die Menschen, welche überall in und zwischen den Orten zu Fuß unterwegs sind, die Autos, welche hier ein zweites Leben bekommen (hauptsächlich Mercedes-Benz und andere deutsche Marken), die kleinen Geschäfte und Betriebe überall, die Herden auf den Straßen... es fühlte sich definitiv anders an als all die bisherigen Länder durch die wir gekommen sind.

Eine Ziegenherde kam plötzlich die Straße vom Grenzübergang hinab

Eine Ziegenherde kam plötzlich die Straße vom Grenzübergang hinab

Von Tirana aus haben wir dann die Stadt Durrës an der Küste besucht und sind von dort aus dann weiter Richtung Süden. Wir hatten uns entschieden, eine Nacht im Nationalpark Divjakë-Karavasta wild zu zelten. Alles lief super, bis zum nächsten morgen als wir beschlossen, eine Straße durch die Karavasta-Lagune, eine der Größten des Mittelmeers, zu nehmen. Wir hatten ein paar Autos auf der Straße gesehen und von Weitem sah sie nicht allzu schlecht aus. Die Lagune sah auch richtig schön aus und die Straße geht wirklich mitten durch, mit Wasser auf beiden Seiten, deswegen dachten wir, dass sich die Strecke lohnen würde. Unterwegs jedoch wurde die Straße immer schlechter, mit riesigen, wassergefüllten Schlaglöchern, die manchmal beide Teile der Lagune miteinander verbanden. Wir haben ewig für die 6km oder so durch die Lagune gebraucht...

Richtig schlechte Piste durch die schöne Karavasta-Lagune im Nationalpark Divjaka-Karavasta. Irgendwann wurden die Schlaglöcher breiter als der Weg, so dass wir nur auf gut Glück hindurchradeln konnten und das ein oder andere Mal unsere Schuhe durchtränkten...

Richtig schlechte Piste durch die schöne Karavasta-Lagune im Nationalpark Divjaka-Karavasta. Irgendwann wurden die Schlaglöcher breiter als der Weg, so dass wir nur auf gut Glück hindurchradeln konnten und das ein oder andere Mal unsere Schuhe durchtränkten...

Als wir die Lagune endlich hinter uns gelassen hatten, waren sowohl wir als auch unsere Fahrräder komplett mit Schlamm bedeckt und brauchten dringend eine Wäsche. Wir hielten an der ersten "Lavazh" (Autowäsche), die wir sahen, und ließen unsere Fahrräder gründlich absprühen. Nachdem wir uns selbst auch gereinigt und getrocknet hatten, fuhren wir weiter in die Berge im Süden Albaniens, entlang eines Tals zur UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Gjirokastër.

Gjirokastër ist für seine gut erhaltene osmanische Altstadt aus großen Steinhäusern bekannt. Die ganze Stadt wird von einer riesigen, beeindruckenden Festung überblickt, die wir im Detail erkundet haben. Dies war auch das zweite Mal (nach Tirana), dass wir ein traditionelles Restaurant aufgesucht und albanische Gerichte wie Reisbällchen, gebackenen Käse mit Honig und Sesam, Bohnensuppe und Tomaten-Köfte probiert haben.

Aussicht auf Gjirokastër von der Festung

Aussicht auf Gjirokastër von der Festung

Danach verließen wir das Tal und überquerten ein paar Berge zurück zur Küste. Die Berghänge auf der Küstenseite hatten viel mehr Vegetation als das vorherige Tal und auf dem Weg hinab stießen wir auf das "Blaue Auge", einen wunderschönen Ort, an dem Wasser aus einem unterirdischen Fluss an die Oberfläche tritt.

Das "Blaue Auge", wo Wasser aus einem unterirdischen Fluss an die Oberfläche tritt

Das "Blaue Auge", wo Wasser aus einem unterirdischen Fluss an die Oberfläche tritt

Unser Ziel an der Küste war die antike Stadt Butrint. Wir verbrachten einige Stunden zwischen den Ruinen griechischen, römischen und mittelalterlichen Ursprungs. Die archäologische Stätte wurde als eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Albaniens beschrieben, und als normalerweise überlaufen, aber als wir dort waren, sahen wir keine einzigen anderen Touristen!

Antikes Theater von Butrint aus dem 3. Jh. v.C.

Antikes Theater von Butrint aus dem 3. Jh. v.C.