Um ehrlich zu sein, hatten wir erwartet, dass Aserbaidschan ziemlich langweilig sein würde. Wir hatten gehört, dass die Kultur sehr ähnlich wie in der Türkei ist, also nicht neu für uns, und außerdem dass es nicht viel zu sehen gibt. Also war unser ursprünglicher Plan, einfach möglichst schnell auf den ebenen Straßen durch die Steppe zu fahren, die einen Großteil des Landes bedeckt. Wir hatten sogar überlegt, die Hauptstadt Baku zu überspringen...
Zum Glück war es dann doch alles ganz anders. Wir fühlten uns durchaus an die Türkei erinnert, mit den ähnlichen Sprachen, warmen, freundlichen Menschen und dem Überfluss an Tee. Drei Unterschiede waren jedoch sofort erkennbar: Die Menschen sprechen Russisch als erste Fremdsprache; Wohngebiete sind oft von toll aussehenden Mauern umgeben, die oft wie Burgmauern aussehen, so dass man von der Hauptstraße aus oft nicht viel von den Häusern sehen kann; und es waren so viele alte Lada-Autos auf den Straßen unterwegs!
An den ersten zwei Tagen hatten wir Glück mit dem Wetter und rollten eine schöne, neue Straße zwischen den Ausläufern des Großen Kaukasus auf der linken und dem riesigen Flachland im Zentrum Aserbaidschans auf der rechten Seite entlang. Wir fanden einen schönen Zeltplatz zwischen den Bäumen für die erste Nacht und nachdem wir zu Vogelgezwitscher aufgewacht waren, machten wir uns auf den Weg in die Hauptstadt der Region, Schäki (Şəki).
Mit dem Rad entlang der Ausläufer des Großen Kaukasus
Schäki ist einer der wenigen touristisch interessanten Orte in Aserbaidschan (außerhalb von Baku, mit Highlights wie der Altstadt, den Karawansereien und dem Palast der Khans von Schäki. Der Palast ist von bescheidener Größe, aber die Wände im Innern sind bedeckt von detailreichen Malereien und die Fenster zählen wohl zu den besten Beispielen für "Shebeke"-Kunst, bei der gefärbte Glasstücke von einem feinen Gitter aus Holz ohne jegliche Nägel oder Kleber zusammen gehalten werden.
Ursprünglich wollten wir in Schäki nur einen Tag Pause einlegen, aber es fing wieder an zu regnen und wollte nicht wieder aufhören, so dass wir ein paar Tage länger dort feststeckten. Glücklicherweise holte uns dadurch der japanischer Radreisende Kanji ein, den wir in der iranischen Botschaft in Tbilisi kennengelernt hatten, und der eine wertvolle Fracht dabei hatte: Heikos Regenjacke, die er versehentlich in Tblisi zurückgelassen hatte.
Durch unsere Verspätung konnten wir auch noch Novruz, das traditionelle Neujahr in Aserbaidschan und Iran, in unserem Hostel mitfeiern. Als es dunkel wurde, entzündete unser Hostel-Besitzer ein großes Feuer in seinem Hof und viele seiner Freunde und Nachbarn kamen vorbei, um das Feuer anzusehen und, als es kleiner wurde, drüber zu springen. Der Tradition nach verbrennen beim Sprung über das Feuer die Sorgen und Nöte des vergangenen Jahres. Traditionell ist Novruz ein Familienfest, aber die Kinder unseres Gastgebers sind alle im Ausland, daher wurden wir für diese Nacht zusammen mit der Haushälterin und ihrer Tochter Teil der Familie. Wir waren überrascht, wie einige Novruz-Bräuche mit den heidnischen Traditionen, die wir oft mit Ostern verbinden, übereinstimmen: Große Feuer entfachen wir in Deutschland auch zu Ostern, und Eier werden auch zu Novruz bemalt und verzehrt.
Als das Wetter wieder aufklarte, änderten wir unseren Plan und beschlossen, die bergigere, aber auch schönere Straße nach Baku zu nehmen, statt der flachen, verkehrsreichen Schnellstraße durch die Steppe. Die Anstiege waren manchmal hart, aber dafür wurden wir mit beeindruckenden Aussichten auf die Berge belohnt.
Shamakhi (Şamaxi) ist die letzte große Stadt auf dieser Straße bevor ein 120km langer Abschnitt durch eine immer wüstenähnlicher werdende Landschaft nach Baku führt. Zunächst wollten wir diese Strecke in zwei Hälften teilen und in der Mitte campen. Als wir jedoch in Shamakhi ankamen, sahen wir in der Wettervorhersage einen Sturm für den zweiten Tag aufziehen, mit Regen und Wind mit bis zu 70 km/h. Da war nicht mitten in der Wüste in diesen Sturm geraten wollten, beschlossen wir, per Anhalter zu fahren, um es an einem Tag bis Baku zu schaffen. Ursprünglich wollten wir nur einen Teil des Weges trampen, bis Gobustan Maraza, von wo aus es dann überwiegend bergab geht, aber der Fahrer, der uns mitnahm, war ohnehin auf dem Weg nach Baku, so dass wir beschlossen, faul zu sein und die ganze Strecke im LKW zu bleiben.
In Baku haben wir Kanji wieder eingeholt, der nun im gleichen Hostel wie zwei französische Radler wohnte. Die drei hatten sich auf dem Weg aus Schäki getroffen und waren zusammen nach Baku gefahren, wo sie zwei Tage früher als wir eintrafen, aber vor der Weiterfahrt auch erst den Sturm abwarten wollten. Am nächsten Tag haben wir wieder eine kostenlose Stadtführung mitgemacht und dabei die faszinierende Altstadt von Baku entdeckt. Danach verbrachten wir den Rest des Tages mit der überraschend schwierigen Suche nach einem neuen Gaskanister für's Camping, die uns durch einen Großteil der Stadt führte.
Wir wären noch einen Tag länger geblieben, aber das Wetter war perfekt, so dass wir am nächsten Tag zusammen mit Kanji und den französischen Radlern Richtung Gobustan (Qobustan), südlich von Baku, aufbrachen, wo es prähistorische Felszeichnungen und Schlammvulkane gibt. Zuerst versuchten wir, auf einer kleinen Nebenstraße dorthin zu gelangen, aber nachdem wir von der befestigten Straße abgebogen waren, blieben wir schnell tief im Schlamm stecken. Nach über einer Stunde der Plackerei beschlossen wir, dass es die Mühe nicht wert war und fuhren zurück zur Haupt-Schnellstraße. In Gobustan haben wir dann zusammen an einer sehr malerischen Stelle gezeltet, bevor sich unsere Wege am nächsten Morgen (vorerst) trennten. Vielleicht sehen wir uns im Iran wieder!
Unsere Gruppe unterwegs in der Wüste bei Lökbatan in der Nähe von Baku
Leider hatte Heiko sich auf dem Weg nach Gobustan irgendeine schlimme Magenverstimmung eingefangen, und nach einer schrecklichen Nacht konnte er sich am nächsten Tag nur noch gerade so zu den Felszeichnungen schleppen. Trotzdem wollte er unbedingt dorthin, da wir nun schonmal in der Nähe waren, aber Hannah hat letztendlich den Großteil des Sightseeings allein unternommen. Die Felszeichnungen, oder Petroglyphen, von Gobustan wurden über viele Jahrtausende erstellt, zwischen 15000 vor Christus bis ins Mittelalter, von Homo sapiens und von Neandertalern, die dort zu prähistorischen Zeiten lebten. Die Zeichnungen sehen vielleicht cartoonmäßig aus, aber es ist faszinierend, sich vorzustellen, wie alt diese Petroglyphen schon sind und sich das Leben der Menschen, die sie erstellt haben, vorzustellen.
Felszeichnungen im Gobustan-Nationalpark, die ein Boot und Jäger zeigen
Als es Heiko nach zwei Tagen endlich wieder besser ging, haben wir die Schlammvulkane besichtigt. Schlammvulkane sind ähnlich wie normale Vulkane, aber statt Lava kommt oben Schlamm heraus. Etwa die Hälfte der Schlammvulkane weltweit befinden sich in Aserbaidschan. Von der Straße aus hatten wir vorher schon einen großen Vulkan gesehen, dem der Schlamm die Flanken hinabströmte, aber diesmal gingen wir einen anderen Vulkan hinauf, auf dessen inaktivem Gipfel sich mehrere aktive Mini-Vulkane befanden. Es war ziemlich komisch, oben neben den kleinen Kratern zu stehen und den Schlamm dabei zu beobachten, Blasen zu werfen und manchmal herauszufließen. Hannah bereut es, den Schlamm, der angeblich gut für Gesichtsmasken sein soll, nicht angefasst zu haben... aber er war schlammig!
Mini-Vulkane oben auf einem inaktiven Schlammvulkan bei Alat, mit dem Kaspischen Meer im Hintergrund
Die nächsten paar Tage waren ziemlich unspektakulär, da wir die große, flache Steppe in der Mitte des Landes überqueren mussten um in den Süden zu gelangen. Wir hatten überwiegend Rückenwind und fuhren superschnell die ebene, gerade und langweilige Schnellstraße entlang, wo es außer Grasland auf beiden Seiten nichts zu sehen gab. Außerdem fing es wieder an, mehr und mehr zu regnen, je südlicher wir kamen, so dass wir froh waren, das Land dann schnell hinter uns zu lassen.