Jiayuguan liegt am Ende der Chinesischen Mauer der Ming-Dynastie, die, in dieser Gegend, die westlichen Ausläufer des Ming-Reiches und die Seidenstraße schützte. Die Handelsroute verlief von Zentralasien um die Taklamakan-Wüste, durch Jiayuguan und dann ostwärts entlang dem Hexi-Korridor, einer Reihe Oasen zwischen dem unwirtlichen Qilian-Gebirge im Süden und der Gobi-Wüste im Norden. Bauern-Soldaten wurden in der Region angesiedelt, um den Boden urbar zu machen und die Chinesische Mauer zu verteidigen. Jiayuguan hatte zu dieser Zeit auch einen furchterregenden Ruf, da Menschen, die aus China verbannt wurden, das Land durch das Tor dort in die Gobi-Wüste verlassen mussten und selten von dort zurückkehrten.
Große Teile der Mauer der Ming-Dynastie sind seitdem verfallen, aber die Tor-Festung von Jiayuguan und Teil der Mauer in der Umgebung wurden restauriert und sind nun in einem sehr touristischen, jedoch trotzdem interessanten Zustand. China sortiert seine Touristenattraktion in Kategorien bis hin zu AAAAA - je mehr A, desto beliebter die Attraktion und desto besser ausgebaut die touristische Infrastruktur. Die Chinesische Mauer bei Jiayuguan ist eine AAAAA-Attraktion und daher von einem Park mit vielen Läden, Restaurants, Elektro-Mietrollern, Kamelreiten usw. umgeben. Wir ignorierten den ganzen Kitsch und hatten trotzdem großen Spaß bei der Erkundung der Hauptfestung und der Überhängenden Chinesischen Mauer, wo die Mauer nördlich der Festung einen steilen Bergkamm hinauf verläuft und oben endet.
Dann radelten wir von Jiayuguan aus in Richtung unseres nächsten, größeren Ziels, Zhangye. Was uns in (für chinesische Verhältnisse) kleinen Städten wie Jiayuguan überraschte, war wie relativ leise der Straßenverkehr war. Der Autoverkehr war sehr ruhig im Vergleich zu Zentralasien und viele Straßen haben eine separate Spur für Roller und Lasten-Dreiräder (von denen die meisten elektrisch und leise waren) und auf denen wir einfach und sicher radfahren konnten. Außerhalb der Städte war die Hauptstraße durch den Hexi-Korridor jedoch voll von einer endlosen Schlange schwerer LKW, die ständig ihre extrem lauten Hupen benutzten, um alle anderen Verkehrsteilnehmer vor ihrer Anwesenheit zu warnen. Die Straßenqualität war jedoch sehr gut und wir fuhren jeden Tag relativ weit.
Die Wüstenlandschaft, durch die wir die meiste Zeit von Jiayuguan nach Gaotai gefahren sind
Bei dem kalten Herbstwetter und den verrauchten Restaurants und Hotels dauerte es jedoch leider nur einen Tag auf dem Rad bis wir Halsschmerzen bekamen und am Ende des zweiten Tages, als wir in der kleinen Stadt Gaotai ankamen, hatte Heiko eine schreckliche Erkältung. Nach drei Nächten Pause war Heiko immer noch nicht wieder fit zum Radfahren, aber wir gaben das Warten auf und nahmen den Bus für den letzten Abschnitt nach Zhangye.
Zhangye ist eine alte Seidenstraßen-Stadt deren wichtigste Sehenswürdigkeit der Große Buddha-Tempel ist, in dem sich die größte liegende Buddha-Statue mit Holzkern Asiens befindet (oder so ähnlich - jede große Buddha-Statue scheint die größte irgendeiner Art zu sein, aber diese war mit 34,5 Metern Länge ziemlich beeindruckend). Das eigentliche Ziel der meisten Touristen liegt jedoch außerhalb der Stadt: der Zhangye-Danxia-Geopark. Auch als Regenbogenberge bekannt, bietet dieser Park eine Landschaft mit bunten Felsformationen wie aus einer anderen Welt. Die Fotos, die wir zuvor im Internet gesehen hatten, sahen digital bearbeitet aus, aber vor Ort waren die Farben dann wirklich unglaublich, obwohl es als wir dort waren größtenteils bewölkt war - bei niedrigem Sonnenstand und kurz nach einem Regenschauer sind die Farben noch stärker. Wir haben die Farben in unseren Fotos in keiner Weise verändert! Der Park ist ebenfalls eine AAAAA-Attraktion und alle Touristen müssen einen internen Shuttle-Bus zwischen den vier (sehr großen) Aussichtsplattformen nehmen - was übertrieben touristisch klingen mag, aber tatsächlich den Geopark schützt, da es die Besuchermassen in begrenzten Gebieten mit den besten Aussichten hält.
Die bunten Berge des Zhangye-Danxia-Geoparks, auch als Regenbogenberge bekannt
Die bunten Berge des Zhangye-Danxia-Geoparks, auch als Regenbogenberge bekannt
Von Zhangye aus sollte es dann in vier Tagen in die nächste größere Stadt, Wuwei, gehen. Wir radelten an Abschnitten der Chinesischen Mauer aus der Ming-Zeit entlang, die hier nur eine teilweise restaurierte Lehmmauer war, aber dennoch beeindruckend anzusehen war. Bei unserer Ankunft in Shandan wurden wir von einem Boutique-Hotel abgewiesen und mussten in einem noblen "International Hotel" absteigen, das etwas außerhalb unseres normalen Budgets lag, aber das günstigere der einzigen beiden Hotels war, die eine Lizenz für Ausländer hatten. Am nächsten Tag, nachdem wir an weiteren Mauerabschnitten entlang gefahren waren, kamen wir in einem kleinen Dorf an, in dem auf unserer Karte ein Unterkunft verzeichnet war - die tatsächlich aber nicht existierte. Glücklicherweise fanden wir einen mehr oder weniger versteckten Platz neben einem alten Wachturm der Chinesischen Mauer und schlugen dort unser Zelt auf. Es war eine sehr kalte Nacht, selbst in unseren dicken Schlafsäcken, aber zumindest war der Ort einzigartig - wann kann man schonmal direkt neben einem Stück Geschichte zelten?
Überreste der Chinesischen Mauer an der Straße zwischen Zhangye und Shandan
Am nächsten Morgen ging es Hannah jedoch gar nicht gut und es war auch nicht gerade förderlich, dass es - zum ersten Mal in China - weit und breit kein einziges Restaurant für's Mittagessen gab. Schließlich konnte Hannah, obwohl es überwiegend leicht bergab ging, kaum mehr weiterfahren, so dass wir die restliche Strecke nach Yongchang per Anhalter fuhren und dort dann wieder für drei Tage feststeckten, bis Hannah wieder fit war. Hier kam zum ersten (aber nicht letzten) Mal die Polizei in unser Zimmer, nachdem wir eingecheckt hatten, um uns persönlich zu registrieren. Hier hatten wir auch zum ersten Mal in dieser Saison Schnee - ein Zeichen für uns, schneller Richtung Süden zu fahren!
Nachdem Hannah sich erholt hatte, schafften wir es endlich nach Wuwei, einer weiteren sehr alten Stadt der Seidenstraße - Menschen leben hier seit mindestens 5000 Jahren. Die Stadt bietet einige alte, buddhistische und konfuzianische Tempel, ein beeindruckendes Stadttor und ein berühmtes Grab, in dem interessante Bronze-Statuen gefunden wurden, unter anderem das Fliegende Pferd von Wuwei, dem heutigen Symbol der Provinz Gansu. Wir verbrachten einen sehr langen Tag in der Stadt, auch weil wir uns zwischen den ganzen Großbaustellen (die es nicht nur in Wuwei, sondern bisher überall in China gab), bei denen Karten unmöglich auf Stand bleiben können, etwas verlaufen haben.
Unser letzter Abschnitt durch den Hexi-Korridor führte uns dann über den Wushaoling-Pass auf fast 3000m Höhe, wonach wir in einem fast menschenleeren Ski-Resort übernachteten (es war sehr kalt dort, aber noch nicht kalt genug zum Skifahren 😉). Die Gegend ist Teil des Tianzhu Tibetischen Autonomen Bezirks und auch wenn wir die tibetischen Leute nicht als solche erkennen konnten gab es viele Schilder in tibetischer Schrift und die Häuser hatten einen besonderen Baustil. Von dort aus ging es dann sehr weit aber relativ einfach zwei Tage lang hinab in die Provinzhauptstadt Lanzhou, dem östlichen Ende des Hexi-Korridors. Hexi (河西) bedeutet wörtlich übersetzt "Westlich des (Gelben) Flusses", der durch Lanzhou fließt.
In Lanzhou haben wir den Großteil des ersten Tages im Provinzmuseum von Gansu mit Dinosaurier-Fossilien, 8000 Jahre alter bemalter Keramik und unzähligen alten Artefakten der Seidenstraße verbracht. Außerdem haben wir eine große Entscheidung für unsere weitere Reise getroffen: wir haben unsere Camping- und Kochausrüstung nach Singapur vorausgeschickt.
Heiko und ein Stegosaurus (sein Lieblingsdinosaurier), im Provinzmuseum von Gansu in Lanzhou
Radreisen in China war für uns bisher deutlich anders als in unseren vorherigen Ländern. Zelten ist verboten und auch wenn wir dennoch einmal gecampt haben, werden die Gelegenheiten dazu rarer werden, da unsere weitere Route in China durch noch dichter besiedelte Gebiete führen wird. In Südostasien ist Camping ähnlich schwierig. Erschwingliche Hotels lassen sich jedoch in jeder größeren und den meisten kleineren Städten finden, von denen es wiederum eine Menge gibt. Günstige Restaurants mit vegetarischem Essen findet man auch fast überall, so dass wir nur noch sehr selten selbst kochen. Daher haben wir beschlossen, dass es sich nicht mehr lohnt, die schwere und sperrige Ausrüstung herumzuschleppen für die seltenen Fälle, in denen wir irgendwo mal keine Unterkunft finden könnten. Wenn es dazu kommt, werden wir eben per Anhalter oder Bus in die nächste Stadt fahren müssen.
Großer Foodcourt in Zhangye - wir sind jetzt definitiv im Land des Essens
So haben wir uns um 18,5kg Gewicht und um alle unsere Taschen bis auf die nun ziemlich vollgestopften hinteren Packtaschen erleichtert. Von China aus ein Paket zu verschicken stellte sich dann als ziemlich zeitaufwändig heraus, da jeder einzelne Gegenstand genauestens inspiziert werden musste, bevor er verpackt werden durfte. Jetzt fühlt sich dafür das Reisen mit so viel weniger Gepäck viel leichter an (auch wenn die Unsicherheit, für jede Nacht ein Ausländer-Hotel zu finden, immer noch etwas beunruhigend ist).
Mit mehreren Tagen Verpätung durch Krankheit und den von Norden herannahenden Winter wollten wir außerdem unsere Route südlich von Lanzhou mit Hilfe einer Zugfahrt etwas vorspulen. Dafür mussten wir unsere Fahrräder wieder vorausschicken, was wider Erwarten den Rest des zweiten Tages in Anspruch nahm. Das erste Frachtbüro am Hochgeschwindigkeits-Bahnhof schickte uns wieder fort, so dass wir quer durch die Stadt zum alten Bahnhof radeln mussten, wo man darauf bestand, hier und da Blisterfolie an unseren Fahrrädern zu befestigen (was teurer als der eigentliche Versand war) - eine neue "Regel", die es letztes Mal nicht gab. Als wir endlich alles irgendwie vorausgeschickt hatten, waren wir zu müde und es war zu spät um uns noch die Stadt anzusehen, so dass Sightseeing leider komplett ausfiel. Unsere Eindrücke von Lanzhou beschränken sich daher auf die Rindfleisch-Nudeln, für die die Stadt bekannt ist - bei über 1000 Rindfleisch-Nudel-Restaurants in der Stadt war fast jedes Restaurant, das wir sahen, ein Rindfleisch-Nudel-Laden...
Nun ohne Fahrräder und mit viel weniger Gepäck unterwegs, werden wir für die nächsten Tage erstmal in den Backpacker-Modus schalten!