In Lanzhou hatten wir unsere Fahrräder mit der Bahn nach Baoji verschickt, wo wir einen Couchsurfing-Gastgeber gefunden hatten. Wir selbst fuhren jedoch nicht direkt nach Baoji sondern legten unterwegs einen Zwischenstopp ein, um die Maijishan-Grotten zu besuchen, die zu den vier wichtigsten buddhistischen Grotten in China zählen. Wir nahmen einen Hochgeschwindigkeitszug nach Tianshui am frühen Morgen und stiegen dann in einen Bus direkt zu den Grotten um, wo wir schnell in eine nahegelegene Pension eincheckten und dort dann beim Mittagessen steckenblieben - die Schwester des Besitzers hielt dort gerade ihren Hochzeitsempfang ab und so bekamen wir Unmengen leckeren Essens angeboten (kostenlos)!
Nach dem Mittagessen gingen wir endlich zu den berühmten Grotten. Die Grotten bestehen aus 194 in eine Felswand geschlagenen Höhlen mit mehr als 7200 buddhistischen Skulpturen und Wandmalereien auf über 1000m², die alle über ein Labyrinth aus Treppen erreicht werden können. So beeindruckend die Statuen auch waren, faszinierte uns noch mehr die Szenerie insgesamt, mit den Treppen und Balkonen, die aus der senkrechten Felswand an einem steilen Hügel in dieser malerischen Landschaft herausragen. Die Treppen hinauf zu den Grotten führen auf furchterregende Höhen. Es ist sofort klar, warum die Mönche damals diesen Ort für ihre Grotten gewählt haben, aber schwer vorstellbar, wie sie die Höhlen vor 1600 Jahren tatsächlich gebaut haben.
Am nächsten Tag nahmen wir statt dem viel schnelleren Hochgeschwindigkeitszug einen normalen Zug nach Baoji, da der Hochgeschwindigkeitszug fast die ganze Strecke unterirdisch gefahren wäre und wir nichts von der Landschaft gesehen hätten. Für den normalen Zug gibt es jedoch nur Fahrkarten für die "harte" Klasse, in der die Sitze wirklich ziemlich hart und nur für zwei- bis dreistündigen Fahrten (wie unsere) okay sind. Der Kontrast zwischen den beiden Zugarten war krass: in den Hochgeschwindigkeitszügen verhalten sich die Fahrgäste meistens recht zivilisiert, während es in den normalen Zügen tendenziell lauter und dreckiger zugeht. Wir wissen jedoch nicht, ob dies am anderen Klientel (im teureren Hochgeschwindigkeitszug findet man eher "Stadtmenschen" und im normalen Zug eher die "Landbevölkerung") oder am viel netteren Ambiente in den neuen Hochgeschwindigkeitszügen liegt. Wir waren jedenfalls sehr beeindruckt von dem Hochgeschwindigkeitsnetz hier, das fast immer auf Brücken oder durch Tunnels verläuft und dadurch wie ein riesiges, landesweites U-Bahn-System wirkt.
In Baoji holten wir unsere Fahrräder vom Bahnhof ab und wohnten dann bei unseren ersten Couchsurfing-Gastgebern in China - oder vielmehr deren Eltern, da unsere Gastgeber selbst auf Motorradreise durch China und Laos waren. Die Eltern kümmerten sich um uns als wären wir ihre eigenen Kinder und wir fühlten uns dort sehr zuhause, auch wenn sie kein Englisch sprachen und Hannah ständig alles für Heiko übersetzen musste. Wir dachten, in Baoji gäbe es nichts zu sehen, und wollten ursprünglich nur unsere Fahrräder und Gepäck hier unterbringen, während wir uns Xi'an ansehen würden. Danach wollten wir zurückkommen, unsere Sachen abholen und in Richtung Süden weiterradeln. Die Wohnung unserer Gastgeber hatte jedoch eine tolle Aussicht auf eine riesige Tempelanlage in der Nähe, so dass wir beschlossen, diese bei unserer Rückkehr zu besichtigen.
Zunächst fuhren wir aber mit einem weiteren normalen Zug nach Xi'an. Wir hatten ein paar Stunden Zeit, bevor unsere Couchsurfing-Gastgeberin dort uns treffen konnte, und spazierten quer durch das ganze Stadtzentrum, das noch immer von einer mächtigen, rechteckigen Stadtmauer umgeben ist. Xi'an (ehemals Chang'an) ist bereits seit über 3000 Jahren ein kulturelles und politisches Zentrum Chinas. Als älteste der vier großen, alten Hauptstädte diente die Stadt mit Unterbrechungen mehreren der wichtigsten Dynastien (u.A. Qin, Han und Tang) als Hauptstadt. Heute besitzt Xi'an immer noch eine Reihe sehr alter Gebäude, aber auch viele neue, moderne Gebäude, die in altem Stil gebaut wurden. Außerdem gibt es ein aktives, lebendiges muslimisches Viertel mitten in der Stadt, wo wir die Große Moschee von Xi'an besichtigt haben, die aus der Ming-Dynastie stammt und sehr wie ein chinesischer Tempel aussieht.
Yizhen-Pavillon der Großen Moschee von Xi'an
Fußgängerzone in der Nähe des Trommelturms in Xi'an
Den nächsten Tag verbrachten wir größtenteils im Historischen Museum von Shaanxi (Shaanxi ist die Provinz in der sich Xi'an befindet). Aufgrund der reichen Geschichte Xi'ans besitzt das Museum eine riesige und extrem interessante Sammlung kostbarer Artefakte. Uns hat sehr überrascht, wie beliebt das Museum war - die 6000 kostenlosen Tickets für den Tag waren schon vergriffen, als wir online nach ihnen suchten, so dass wir die günstigsten verfügbaren Tickets kauften, die auch eine Sonderausstellung zu den Schätzen der Tang-Dynastie beinhalteten. Bei unserer Ankunft fanden wir dann das überfüllteste Museum vor, dass wir je gesehen haben, überwiegend mit chinesischen Touristen. Da die Ausstellungen in chronologischer Reihenfolge nach Dynastien angeordnet waren, kamen uns die paar Stunden, die wir dort verbrachten wie eine kurze Lektion in chinesischer Geschichte vor.
Natürlich kann man nicht nach Xi'an reisen, ohne auch die Terrakotta-Armee zu besichtigen, die zweifellos eine der bekanntesten und beliebtesten Touristenattraktionen Chinas ist. Hier gibt es bis zu 65000 Eintrittskarten pro Tag, so dass wir Unmengen von Menschen und viel Gedränge erwarteten, aber tatsächlich war es nicht so schlimm wie wir dachten. Die Terrakotta-Armee wurde auf Geheiß von Qin Shi Huang, dem Ersten Kaiser von China, gebaut, um ihn im Jenseits zu beschützen. Die Figuren sind in drei Gruben ca. 1,5km östlich des kaiserlichen Grabhügels angeordnet, der selbst noch nicht von den Archäologen geöffnet wurde. Im Laufe der letzten 2200 Jahre sind die hölzernen Deckenbalken der Gruben eingestürzt und die Gruben mit Erdreich verschüttet worden, so dass viele Figuren zerbrochen sind. Uns hat überrascht, dass es sich bei den Gruben um noch aktive Ausgrabungsstätten handelt und wesentliche Teile noch nicht oder nur teilweise freigelegt wurden. Die Figuren aus ihren Trümmern wieder zusammenzusetzen ist ein riesiges Puzzle, und es kostet einen Restaurator anscheinend ungefähr ein ganzes Jahr Arbeit, um nur eine Figur wiederherzustellen, so dass wahrscheinlich noch ein paar tausend Arbeitsjahre vor ihnen liegen. Nichtsdestotrotz fanden wir es richtig interessant, in den Gruben die verschiedenen Phasen der Ausgrabung und Restauration zu sehen. Wir wussten vorher auch nicht, dass alle Terrakotta-Figuren unglaublich detailreiche Individuen sind, ursprünglich realistisch bemalt waren und es bloß extrem schwierig ist, die Farbschicht bei der Ausgrabung zu erhalten.
Die Terrakotta-Armee in Grube 1 (der größten Grube) des Mausoleums des Ersten Qin-Kaisers
Teilweise ausgegrabene Terrakotta-Soldaten in Grube 2 des Mausoleums des Ersten Qin-Kaisers
Nachdem wir die Gruben besucht hatten, ging es weiter in den großen Park um den Grabhügel, wo ein paar weitere Gruben für Touristen geöffnet wurden. In diesen Gruben wurden Terrakotta-Offiziere und -Unterhaltungskünstler, bronzene Streitwagen und verschiedenes sonstiges Zubehör für den Kaiser im Jenseits gefunden. Auch wenn wir den Grabhügel aufgrund von Regen und Nebel nicht sehen konnten, bekamen wir trotzdem einen Eindruck von der Größe der Anlage und wundern uns, was für Schätze darunter noch verborgen sein mögen.
Nach ein paar intensiven Tagen in Xi'an kehrten wir zurück nach Baoji und sahen uns dann endlich den großen taoistischen Tempelkomplex auf dem Hügel neben dem Haus unserer Gastgeber an. Der Legende nach schuf der Erfinder des Tai-Chi, Zhang Sanfeng, hier diese interne (d.h. auf mentale statt physische Übung fokussierte) Kampfkunst, während er durch die nahegelegenen Berge reiste, und gründete den Tempel als Ort zum Praktizieren. Auch heute noch üben Tai-Chi-Gruppen neben dem Tempel. Als wir dort waren, fand zufällig gerade ein Tempelfest statt, so dass wir nicht nur kostenlosen Eintritt hatten, sondern den Tempel auch zur belebtesten Zeit beobachten konnten.
Dann ging es endlich wieder auf's Fahrrad. Direkt südlich von Xi'an und Baoji verläuft das Qinling-Gebirge, das China traditionell in Nord und Süd teilt. Die größten Unterschiede, die uns aufgefallen sind, waren, dass nördlich dieser Grenze die Bäume sommergrün sind und überwiegend Nudeln das Grundnahrungsmittel sind, während südlich davon die Bäume immergrün sind und Reis das vorherrschende Grundnahrungsmittel ist. Es gibt nur wenige Pässe über die Qinling-Berge und wir entschieden uns für den niedrigsten, für den wir dennoch immerhin 1468m steil bergauf radeln mussten, um unser Ziel für die erste Nacht, Taibai, zu erreichen. Mit unserem ursprünglichen Gepäck wäre das für uns nahezu unmöglich gewesen, aber nun, mit nur noch jeweils zwei Packtaschen, war es ganz gut machbar.
Tempel in den Bergen auf dem Weg hinauf von Baoji nach Taibai
Wir hatten im Voraus ein Hotel gebucht, das laut Online-Beschreibung Ausländer akzeptieren sollte, jedoch stellte sich dies bei Ankunft als falsch heraus. Der Besitzer ließ uns dennoch dort übernachten (ohne polizeiliche Registrierung, wie so oft), aber trug uns zusätzlich auf, uns unauffällig zu verhalten, wenn wir das Hotel zum Abendessen verlassen und nicht die Hauptstraße auf und ab zu spazieren. Wir waren darüber nicht besonders besorgt, bis uns jemand im Restaurant (in einer netten Unterhaltung) erzählte, dass Ausländer nirgendwo in der Stadt übernachten dürften. Dies hat uns dann doch etwas beunruhigt, da wir auch Berichte von Ausländern gelesen hatten, die mitten in der Nacht aus ihren Hotelzimmern geworfen wurden, aber glücklicherweise verlief unsere Nacht ruhig. Als wir am nächsten Tag jedoch auf dem Weg ins Tal Mittagspause machten, erzählte uns der Restaurantbesitzer, dass tatsächlich die ganze Passhöhe für Ausländer gesperrt ist, da sich dort eine Militärbasis befindet, und man uns schon auf dem Weg nach oben hätte aufhalten sollen! Dies ist glücklicherweise nicht passiert und nach einer weiteren, nicht registrierten Nacht in einer kleinen Dorfpension rollten wir hinab ins Hanzhong-Becken.
Die Autobahn fliegt praktisch durch das Bao-Flusstal auf dem Weg von Taibai hinab nach Hanzhong
Aussicht auf das fruchtbare Hanzhong-Becken auf unserem Weg nach Mianxian
Hanzhong ist ein weiterer historisch wichtiger Ort: Die Han-Dynastie ist nach dieser Stadt benannt, aus der ihr erster Kaiser stammte, und das Ansehen und die Bedeutung der Han-Dynastie beeinflusste die alten Chinesen, sich als das "Volk der Han" (汉人) zu bezeichnen, ein Name, der bis in die Gegenwart fortgeführt wurde. Die Stadt stand auch im Zentrum verschiedener politischer und militärischer Ereignisse zur Zeit der Drei Reiche, als China nach dem Zerfall der Han-Dynastie in drei rivalisierende Königreiche zerbrach. Diese Ära war eine der blutigsten der chinesischen Geschichte, wurde jedoch stark romantisiert.
Wir übernachteten in Mianxian, einer kleineren Stadt westlich von Hanzhong, da dies besser zu unseren täglichen Entfernungen passte. Hier wurden wir endlich zum ersten Mal seit zwölf Tagen ordentlich vom Hotel registriert, was uns sehr erleichterte. Außerdem besichtigten wir die nahegelegene alte Stadt, die um einen Tempel errichtet wurde, der Zhuge Liang gewidmet ist, einem berühmter Kanzler und Regent von Shu-Han, einem der Drei Reiche. Die alte Stadt ist eher ein Themenpark mit rekonstruierten Gebäuden aus der Zeit von Zhuge Liang, dessen Grab sich direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses Han befindet. Anschließend fuhren wir weiter Richtung Chengdu und sollten auf dem Weg dorthin noch mehr Begegnungen mit der Geschichte der Drei Reiche haben.