Die "Shu-Straßen" sind ein Netz aus Bergstraßen zwischen den chinesischen Provinzen Sichuan (Shu) und Shaanxi (Wei), die seit dem 4. Jh. v.Chr. gebaut und erhalten wurden. Die Schwierigkeit der Straßen war legendär und am besten beschrieben vom großen chinesischen Dichter des achten Jahrhunderts, Li Bai, der in seinem Gedicht "Der schwere Weg nach Shu" schrieb: "Ah! Es ist furchterregend! -- Oh! Es ist hoch! Der Weg nach Shu ist schwer, schwerer als in den Himmel zu klettern". Wir folgten einer der bedeutendsten Shu-Straßen zwischen Hanzhong und Chengdu, die Jinniu-Straße (金牛古道) genannt wird, was übersetzt etwa "Goldochsenstraße" bedeutet. Heutzutage ist die Straße definitiv einfacher als in alten Zeiten, erst recht wenn man die Autobahn nimmt, die auf Hochbrücken und durch Tunnels geradeaus durch das Tal schneidet. Für uns auf der G108 waren es jedoch immer noch ein paar lange Tage mit vielen Höhenmetern.
Tiefe Schlucht auf dem Weg hinauf zum Wuding-Pass (五丁关) zwischen Mianxian und Ningqiang
Die Autobahn fliegt durch die Landschaft zwischen Ningqiang und Guangyuan
Auf dem Weg von Mianxian nach Jianmenguan kamen wir an allen möglichen interessanten AAAA-Sehenswürdigkeiten vorbei, sowohl natürlichen (Höhlen und Schluchten) als auch kulturellen (Tempel und Grotten), was das schwierige Terrain und die historische Bedeutung der Straße widerspiegelt. Wir ließen jedoch all diese Sehenswürdigkeiten aus, da wir ähnliches schon vorher gesehen hatten oder bald sehen würden, so dass wir die Zeit und das Budget dafür nicht investieren wollten. Wir stießen auch auf mehrere große Straßenbaustellen (Ausbau, Verlegungen, usw.), die noch nicht auf unseren Karten waren und daher zu unerwarteten Umwegen und Verzögerungen führten. Je näher wir Guangyuan kamen, desto mehr Verkehr war auf den Straßen, so dass wir positiv überrascht waren, als wir in der Nähe von Chaotian einen Fahrradweg fanden, der auf mehr als 20km die ganze Strecke bis in die Stadt Guangyuan führte.
Von Guangyuan folgten wir weiter der G108 bis Jiange, wo wir auf eine kleinere Straße durch ein malerisches Tal hinauf nach Jianmenguan abbogen. Jianmenguan ist wahrscheinlich das Symbol der Jinniu-Straße schlechthin: ein Pass durch eine schmale Schlucht, der sowohl in Legenden als auch in der tatsächlichen Geschichte eine wichtige Rolle spielte. Zur Zeit der Drei Reiche, nachdem die Han-Dynastie in drei rivalisierende Königreiche zerfallen war, war Jianmenguan auf der Grenze zwischen dem Wei-Staat im Norden und dem Shu-Staat im Süden Schauplatz verschiedener berühmter, historischer Schlachten. Aufgrund der engen Flussschlucht, die nur über balkonartige Holzpfade passiert werden konnte, die gefährlich an den Felswänden befestigt waren, und mit einem Torturm in der Mitte, sagte man, dass ein Einzelner den Pass gegen eine Armee der 10000 verteidigen könne. Die ursprünglichen Holzwege wurden beim Bau moderner Straßen über den Pass zerstört, so dass man heute nur noch eine Replik des Torturms und relativ neue Holzpfade für Touristen an der mächtigen Felswand sehen kann. Trotzdem war es richtig interessant, die Geschichte des Ortes zu lernen und auf der Vielfalt der Holzwege durch die beeindruckende Landschaft herumzuklettern. Wir wollten so viel wie möglich sehen und waren in dem riesigen Gebiet ungefähr 7-8 Stunden unterwegs, bis wir extrem erschöpft waren.
Jianmenguan-Pavillon, in der Mitte der Passhöhe, mit steilen Klippen auf beiden Seiten
In der Yixiantian-(一线天)-Spalte im Touristengebiet von Jianmenguan
Balkonartige Holzwege des Tiantixia-Pfades im Touristengebiet von Jianmenguan
Von Jianmenguan ging es dann in zwei Tagen über die Berge in die nächste größere Stadt, Mianyang, so dass wir in einer Pension in einem kleinen Städtchen auf halber Strecke übernachteten. Die Pension hatte anscheinend noch nie zuvor Ausländer beherbergt und während sie unsere Daten in das Online-Formular zur polizeilichen Registrierung ausfüllten... wir wissen auch nicht, was los war, aber das Telefon klingelte und wir mussten zur örtlichen Polizeistation gehen. Die einsame Beamtin dort wusste auch nicht, was sie mit uns machen sollte, und rief Verstärkung, die kurz darauf mit Blaulicht, aber auch ohne Ahnung, eintraf. Die Polizisten schickten Fotos von unseren Reisepässen per WeChat herum, um nach Hilfe zu fragen, und trieben schließlich irgendwo ein Handbuch mit der Prozedur (komplett mit Bildschirmfotos) auf. Mit dem Handbuch gewappnet begleitete uns eine Polizistin dann zurück zum Hotel und schaffte es dort letztendlich nach langer Zeit, das Formular auszufüllen. In vielen anderen Hotels sorgen wir allerdings auch für Chaos, wenngleich die Hotelangestellten dort es meistens irgendwann selbst schaffen (mithilfe einiger Telefonate oder zusätzlicher Mitarbeiter), ohne dass sie uns zur Polizei schleppen müssen. Wir haben das Formular jedoch gesehen und es ist wirklich nicht so kompliziert...
Waldlandschaft auf dem Weg hinab von Jianmenguan
Am nächsten Tag, nach einem unserer anstrengendsten Tage auf dem Rad (99km mit unzähligen Höhenmetern), erreichten wir schließlich die Stadt Mianyang, wo eine Warmshowers-Gastgeberin (wahrscheinlich unsere einzige in China), mit neuen Reifen auf uns wartete, die wir zuvor online an ihre Adresse bestellt hatten. Unsere alten Reifen waren nach über 16000km ziemlich abgenutzt, so dass wir das Shopping-Festival am 11.11. auf Taobao ausnutzten, um ein paar neue zu kaufen. Wir blieben zwei ganze Tage in Mianyang um unsere Fahrräder zu waschen und zu warten, unsere Haare schneiden zu lassen, Fotos zu sortieren, usw. Wir wollten dort eigentlich auch unsere Typhus-Impfung auffrischen, fanden jedoch später heraus, dass dieser Impfstoff in China einfach nicht verfügbar ist, auch wenn Typhus im Land durchaus vorkommt.
Mit Linlin, unserer Warmshowers-Gastgeberin in Mianyang
Ab Mianyang waren wir im Sichuan-Becken unterwegs, ein relativ flaches Tiefland, das zu allen Seiten von Bergen umgeben ist. Hier war die Bevölkerungsdichte viel höher als in den Gegenden, die wir zuvor durchquert hatten, so dass auf der langen Straße bis in den Norden von Chengdu entsprechend viel Verkehr war. Dort übernachteten wir in einem Hotel direkt neben der Forschungsstation zur Aufzucht des Großen Pandas, wo der Große Panda und sein sehr entfernter Verwandte, der Rote Panda, aufgezogen werden und von Touristen wie in einem Zoo besichtigt werden können. Beide Arten sind in der Wildnis sehr selten geworden, und gelten als gefährdet bzw. als vom Aussterben bedroht. Wir hatten gelesen, dass Große Pandas ab ca. 11 Uhr vormittags sehr faul werden und den Großteil des Nachmittags verschlafen, so dass wir früh hingingen und die meiste Zeit damit verbrachten, sie bei ihrem Bambus-Frühstück zu beobachten. Durch viel Forschung und Erfahrung gelingt es dem Aufzuchtzentrum, jedes Jahr ein paar neue Pandajunge hervorzubringen, die einfach zu niedlich sind!
Ein Panda isst in der Forschungsstation zur Aufzucht des Großen Pandas in Chengdu
Ein zu niedlicher Panda in der Forschungsstation zur Aufzucht des Großen Pandas in Chengdu
Rote Pandas in der Forschungsstation zur Aufzucht des Großen Pandas in Chengdu
Nachdem wir die Pandas besucht hatten, zogen wir per Couchsurfing in den Süden Chengdus in das "Friends House" um, einer kleinen Englisch-Schule, die von einem Paar aus der Stadt betrieben wird, das auch einmal die Woche zu einem englischen Abend einlädt, an dem wir teilnahmen. Es war toll, plötzlich so viele Einheimische zu treffen, die gut Englisch sprachen, was in China selten ist. Wir haben auch mit dem Fahrrad eine Runde durch die Stadt gedreht, die mit ihren vielen Radwegen und Radfahrern als sehr fahrradfreundliche Stadt gilt. Da wir uns die Radwege aber auch mit Motorrädern teilen mussten und sich niemand an die Verkehrsregeln hielt, fanden wir den hektischen Stadtverkehr dennoch viel zu stressig.
Feuertopf in Chengdu - zu feurig!
Nach einem verregneten Tag, an dem wir im Haus blieben, um hauptsächlich diesen Blog zu pflegen, machten wir mit dem Hochgeschwindigkeitszug einen Tagesausflug nach Leshan, um die größte steinerne Buddhastatue der Welt zu sehen. Der Buddha wurde ursprünglich zwischen 713 und 803 n.Chr. in die Klippe am Zusammenfluss der Flüsse Min und Dadu gemeißelt, um die turbulente Strömung zu beruhigen, welche die Boote auf dem Fluss gefährdete. Anscheinend verschwand die tückische Strömung nach dem Bau der Statue tatsächlich, auch wenn dies daran gelegen haben dürfte, dass während des Baus so viel Abraum von der Klippe in den Fluss geschüttet wurde, dass sich die Strömung dadurch änderte. Mit seinen 71m Höhe ist der Buddha beeindruckend anzusehen und mit Abstand die größte vormoderne Statue der Welt.
Als wir wieder zurück in Chengdu waren, verluden wir unsere Fahrräder in einen Bus nach Luzhou am südöstlichen Ende des Sichuan-Beckens, da wir unsere begrenzten Visumstage lieber nicht in dieser dicht besiedelten und verkehrsreichen Gegend verbringen wollten.