Während wir noch zwischen den großen, interessanten Städten im Zentrum Irans unterwegs sind (Isfahan, Yazd, Schiras - mehr dazu in einem späteren Eintrag), werden wir natürlich weiterhin ständig angesprochen und nach unserer Herkunft gefragt. Erschreckend oft folgen auf Heikos Auskunft dann positive Kommentare zu Hitler oder dem gemeinsamen deutsch-iranischen Ariertums. Das liegt wahrscheinlich weniger daran, dass alle Iraner Nazis und Judenhasser wären, sondern eher an haarsträubenden Bildungslücken. Heiko ist selbst nicht gerade Experte auf diesem Feld, ist aber jedes Mal einigermaßen schockiert, daher dieser klärende Blogeintrag.
Viele Menschen glauben anscheinend gern alles was ihnen das Gefühl gibt, wichtig, besonders und/oder besser zu sein, selbst wenn eigentlich alles Mist ist. Nationalisten und Rassisten aller Couleur begründen darauf wohl den Großteil ihres Erfolgs.
Schon vor dem 19. Jh. entdeckten Linguisten Gemeinsamkeiten zwischen den europäischen, zentralasiatischen und nordindischen Sprachen (heute als indogermanische Sprachen bekannt, wobei "indo" und "germanisch" nur die geographischen Grenzen dieser Sprachfamilie bezeichnen und nicht die Wichtigkeit oder Ursprünge) und führten sie auf eine gemeinsame indogermanische Ursprache zurück. "Arier" ist eine Selbstbezeichnung der Sprecher indoiranischer Sprachen (u.a. Iranisch, Hindi-Urdu, Bengali, ...) und lange Zeit wurde vermutet, dass Sprecher der Ursprache sich ebenfalls so bezeichneten.
Als im 19. Jh. in Europa nationalistische Strömungen an Bedeutung gewannen, wurde es vielen wichtig, nachzuweisen, dass diese gemeinsame Ursprache in der eigenen Region entstand und man möglichst direkt von den ursprünglichen Sprechern abstammt. Da Nichtlinguisten fälschlicherweise davon ausgingen, dass die Sprache sich hauptsächlich durch Eroberungen und kulturelle Überlegenheit ausbreitete, wollte man sich so den anderen Kulturen überlegen fühlen. Man wollte also "Arier" sein.
Sprachwissenschaftliche Erkenntnisse wurden daher in ethnischem und rassistischem Sinne umgedeutet und mit erfundenen Theorien angereichert. Der französische Diplomat, Schriftsteller und Ur-Rassist Joseph Arthur de Gobineau wollte so festgestellt haben, dass der französische Adel die reinste und überlegenste Form des Ariertums darstelle. Der englisch-deutsche Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain folgerte auf ähnlich pseudowissenschaftliche Art, das deutsche Volk sei die reinste Form der Arier. Linguisten schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, aber wen interessieren schon wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Nazis trieben die rassistischen Ideologien und die Fehlverwendung des Arier-Begriffes schließlich auf die Spitze, mit den schrecklichen Folgen des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs, die zu vielen Leuten immer noch nicht ausreichend bekannt sind. In grausamer Ironie hätten die von den Nazis verfolgten Roma als Sprecher einer indoarischen Sprache (Romanes) einen viel besseren Grund sich als Arier zu bezeichnen als die Nazis.
Die Iraner können sich auch zurecht als Arier bezeichnen. Sie verwenden diesen Begriff auch gerne, um sich von den traditionell verhassten Arabern abzugrenzen. Judenhass wie bei den Nazis schwingt dabei eigentlich nicht mit, aber zusammen mit einer Unwissenheit über Hitlers Rassenideologie wird aus dem gemeinsam verwendeten Arier-Begriff eine deutsch-iranische Verwandschaft und ein relativ positives Bild Hitlers abgeleitet. Wenn Heiko dann versucht, das Missverständnis aufzuklären, reagieren unsere Gesprächspartner oft mit Unglauben, holen das Smartphone hervor und googlen nach diversen Grafiken, die ihre Auffassung untermauern sollen, auch wenn sie in der Regel das Gegenteil zeigen. Jede Theorie, welche die eigene Überlegenheit stützt, ist eben willkommen und wird nicht so genau hinterfragt.
Der Ursprung der indogermanischen Ursprache bleibt derweil unbekannt. Das hält natürlich indische Hindu-Nationalisten nicht davon ab, sich aktuell als die reinsten Arier, Ursprung aller indoeuropäischer Zivilisation und daher als die Überlegenen darzustellen. Viele Theorien deuten aber auf eine Herkunft aus der Schwarzmeerregion hin. Die Theorie der Verbreitung durch Eroberung und Unterwerfung primitiverer Völker hat jedoch ohnehin keinen wissenschaftlichen Rückhalt, wodurch sich niemand daraus irgendwelche Über- oder Unterlegenheitsgefühle ableiten sollte.