Kasachstan ist unser fünftes und letztes zentralasiatisches Land. Dafür, dass es das neuntgrößte Land der Welt (nach Fläche) ist, verbringen wir relativ wenig Zeit hier, was zum Einen am Mangel bedeutender, historischer oder natürlicher Sehenswürdigkeiten liegt (das Land besteht größtenteils aus endloser, langweiliger Steppe) und zum Teil daran, dass wir ziemlich ausgebrannt sind. Wir haben nun über vier Monate in Zentralasien verbracht und während jedes Land anders war, gibt es auch starke Gemeinsamkeiten zwischen ihnen: die Sprachen, das Essen, die gesellschaftlichen Normen, usw. Diese kulturellen Gemeinsamkeiten waren Fluch und Segen zugleich, aufgrund des Kulturschocks.
Der Begriff Kulturschock ist etwas irreführend, da es sich weniger um einen plötzlichen "Schock" handelt, wenn man ein neues Land betritt, sondern eher um einen vierstufigen Prozess über die Zeit: Flitterwochen, Krise, Erholung und Anpassung. Man findet überraschend wenig Lektüre über Kulturschock bei Langzeitreisen; mehr wurde über umgekehrten Kulturschock (wenn man nach langer Reise nach Hause zurückkehrt) geschrieben. Da wir jedoch so langsam unterwegs sind, verbringen wir so viel Zeit in einer Kultur, bevor wir weiterreisen, dass der Kulturschock Zeit hat, in Erscheinung zu treten.
Bei einigen Alltagsaktivitäten sind wir ratzfatz und mit Leichtigkeit durch die vier Stufen durch - zum Beispiel bei der Gewöhnung ans zentralasiatische Essen (es ist aussichtslos, in Restaurants nach vegetarischem Essen zu suchen, also müssen wir entweder selbst kochen oder eben nicht-vegetarisch essen). Anderes nervt uns immer noch ohne Ende - die Auto-Affen, die Terror-Kinder, die übertriebene Aufmerksamkeit, die wir überall auf uns ziehen. Hier stecken wir noch in der Krisen-Stufe fest und können uns nur langsam anpassen, da das, was für die Einheimischen gesellschaftlich akzeptabel ist, für uns überhaupt nicht in Ordnung ist und wir dann nicht nur mit Frustration, sondern auch Aggression reagieren. Und diese Aggression hat uns am meisten geschockt. Bevor wir uns auf diese Reise gemacht haben, hätten wir uns zu den gelassensten Leuten, die wir kennen, gezählt (das mag natürlich etwas selbstherrlich sein). Aber über die letzten paar Monate haben uns die ständig wiederholten, immer selben "inakzeptablen" Begegnungen derart zermürbt, das uns mittlerweile schnell die Sicherung durchbrennt und jede neue Begegnung anfällig für aggressive Ausbrüche (bisher nur verbal) und Gedanken ("diese ganzen Auto-Affen gehören massakriert) ist. Fairerweise war Kasachstan viel besser als die vorherigen Länder, ohne Terror-Kinder (vielleicht, weil die Schule wieder losging) und besseren Autofahrern (außer im dichten Stadtverkehr). Ohne wirklich Neues, um uns zu motivieren, wollen wir jedoch nur schnell weiter ins nächste Land, China, wo wir darauf hoffen, dass die Kultur wieder neu und interessant genug ist, um uns wieder in die Flitterwochen-Phase zu bringen, zumindest für eine Weile...?
Daher fahren wir nur durch eine Ecke Kasachstans, weil es die einfachste Route von Bischkek zur chinesischen Grenze ist und auch, weil wir so durch Almaty fahren, der ehemaligen Hauptstadt und größten Stadt Kasachstans, wo wir uns auf etwas mehr Komfort und besseren (Ausrüstungs-) Einkaufsmöglichkeiten im wohlhabendsten Land Zentralasiens gefreut haben. Während der drei Tage auf dem Rad zwischen Bischkek und Almaty ist nicht viel passiert. Die Landschaft wurde an der Grenze fast abrupt trockener und flacher, wobei wir zunächst noch einen letzten Hügel überqueren mussten, bevor wir die Steppe erreichten. Die Kasachen wirkten allgemein freundlicher als die Kirgisen, da uns oft Essen geschenkt wurde und wir mehrfach unterwegs angesprochen wurden.
Und ihr dachtet, Kasachstan wäre flach?
Pferde ziehen an unserem zweiten Zeltplatz zwischen Bischkek und Almaty vorbei
Wir sind eine Woche in Almaty geblieben, wo wir in einer Airbnb-Wohnung an der Straße Zhibek Zholy ("Seidenstraße") gewohnt, womit der Ausdruck "auf der Seidenstraße" zu sein, wieder eine neue Bedeutung bekam. Almaty ist wirklich eine ziemlich moderne Stadt, im Vergleich zum Rest Zentralasiens. Überall gibt es Einkaufszentren und große Supermärkte sowie viele Parks und schattige, von Bäumen gesäumte Straßen. Hier haben wir auch unser einjähriges Jubiläum der Reise gefeiert und uns zu diesem Anlass mit leckerem, georgischen Essen verwöhnt, vielleicht das letzte Mal, dass georgisches Essen so einfach erhältlich ist, da Kasachstan unser letztes Land des Ostblocks ist. Wie schon in Bischkek wird auch in Almaty vorwiegend Russisch gesprochen und der russische Einfluss ist in Kasachstan insgesamt deutlich stärker als in den anderen zentralasiatischen Ländern. Rückblickend wäre es besser gewesen, hätten wir uns mehr Mühe gegeben, um Russisch zu lernen, nachdem wir in unserem ersten postsowjetischen Land (Georgien) angekommen waren, statt zu versuchen, die jeweiligen Turksprachen in Zentralasien zu lernen (was wir auch nie richtig gemacht haben), und jetzt ist es einfach zu spät.
Statue des kasachischen Poeten Abai vor dem Palast der Republik in Almaty
Wir feiern das einjährige Jubiläum unserer Reise mit leckerem, georgischem Essen
Von Almaty aus sind wir für zwei Tage auf einer schönen, kleinen Straße dem Großen Almaty-Kanal gefolgt, bevor wir Richtung Schelek abgebogen sind. Manchmal erinnerte und diese Straße an Teile Europas, die wir vor einem Jahr durchfahren haben: eine gut befestigte Straße gesäumt von herbstfarbenen Bäumen, mit sehr wenig Verkehr und in flacher Landschaft voller Apfelplantagen.
Auf ruhigen, herbstfarbenen Straßen entlang des Großen Almaty-Kanals von Almaty nach Schelek
Nach unserer Ankunft in Schelek sind wir am Abend auf der Suche nach Essen in die Stadt gegangen. Nachdem wir fast eine Stunde lang durch die stockdunklen Straßen gelaufen waren, ohne auch nur ein geöffnetes Restaurant zu finden, das mehr als nur Schaschlik im Angebot hatte, fanden wir endlich ein geschäftiges Café, worin dem Anschein nach eine private Feier stattfand. Wir steckten unsere Köpfe hinein, um zu gucken, ob wir Essen bestellen könnten, und eine freundliche, junge Frau kam heraus, um uns zu helfen. Es stellte sich heraus, dass ihre Familie dort gerade den Geburtstag der Großmutter gefeiert hatte und nun auf dem Weg nach Hause war - und uns einlud, mitzukommen und bei ihnen zu Abend zu essen. Wir nahmen die Einladung an und was dann folgte, war ein extrem lauter Abend mit Tellern voller Essen, die aus dem Nichts auftauchten, die gleichen Fragen zur gleichen Zeit von der ganzen Familie (und nur die eine junge Frau, um alles zu übersetzen) und all die (schon betrunkenen) Männer, die uns viel zu viele Wodka-Shots einschenkten. Wir waren anscheinend die ersten ausländischen Gäste in ihrem Haus und niemand schien seine Aufregung zügeln zu können. Wir konnten jedoch entkommen, als die junge Frau (deren Namen wir leider vergessen haben!) ein Taxi zurück zu unserer Unterkunft für uns bestellte.
Von Schelek aus sind wir auf der nagelneuen Schnellstraße in Richtung der chinesischen Grenze bei Khorgas aufgebrochen. Es war erstaunlich wenig Verkehr auf der Straße unterwegs und wir hatten Glück, viel Rückenwind zu haben und somit schnell fahren zu können, da die Straße nur schnurgerade durch die flache, langweilige Landschaft führte und es nichts zu sehen gab. Doch plötzlich wurden wir von einem langen Autokonvoi mit singapurisch aussehenden Kennzeichen und Aufklebern mit dem Text "London to Singapore" überholt! Zwei der Autos hielten kurze Zeit später an einem Rastplatz, wo wir sie einholten. Es stellte sich heraus, dass sie auf der diesjährigen "Autoventure"-Reise waren, die vom singapurer Automobilclub organisiert wird, und sie an jenem Tag von Almaty nach Zharkent unterwegs waren. Bei der langweiligen Straße namen wir das Mitfahrangebot nach Zharkent (und vielleicht nach Singapur?!) gerne an. Wir stiegen im selben Hotel ab und wurden von ihnen zum Abendessen eingeladen, einem singapurischen Festmahl, das sie speziell für ihren (und unseren) letzten Tag in Zentralasien geplant hatten 😋.
Am nächsten Tag machten wir uns getrennt vom singapurer Konvoi auf den Weg, da die Gruppe mit ihren Autos einen schwierigen Grenzübergang erwartete und sehr früh aufbrach. Wir holten sie jedoch wieder ein, überholten sie an der Grenze und verabschiedeten uns schlussendlich von Zentralasien.