Song-Kul ist ein hoch gelegener Bergsee, etwa 3000m über dem Meeresspiegel. Er wird oft als einer der schönsten Orte Kirgisistans bezeichnet und bezieht seinen Reiz vor allem von seiner Abgeschiedenheit und der unberührten Natur, die vor auch dadurch bewahrt wird, dass er schwer zu erreichen ist. Alle Straßen zum See sind unbefestigt und alle Routen (Straßen, Pfade oder sonstiges) müssen hohe Pässe überwinden, bevor sie wieder hinab zum See führen. In der Umgebung des Sees gibt es keine festen Gebäude, nur Jurten-Lager, wo Familien im Sommer auf den hohen Weiden Tiere hüten und in einigen Jurten auch Touristen beherbergen.
Da wir keine Lust mehr auf Offroad-Radfahren hatten, wollten wir eigentlich vom Dorf Kyzart zum Song-Kul wandern, was als lange Tagestour je Richtung möglich ist. Allerdings hatte Hannah sich ein paar Tage zuvor den Knöchel verstaucht, was noch nicht wieder vollständig geheilt war. Als wir dann in unserer Pension eine französische Solo-Radreisende trafen, die eine dreitägige Reittour zum See gebucht hatte, die am nächsten Tag aufbrechen würde, schlossen wir uns an. Es stellte sich als größere Gruppe heraus, mit vier weiteren Franzosen und drei Führern, die uns begleiteten. Ein paar Leute in unserer Gruppe hatten minimale Reiterfahrung, aber alle anderen waren blutige Anfänger. Dennoch gab es bloß drei Sekunden Anleitung ("So nach links, so nach rechts, so vorwärts, so anhalten") und schon waren wir unterwegs und sollten unsere Pferde auf der langen Tour unter Kontrolle halten. Dies funktionierte einigermaßen bei allen außer Hannah, die ein junges, störrisches Pferd erwischt hatte, welches oft zum Essen oder Trinken anhalten wollte. Die Führer brüllten jedoch nur Anweisungen für das Pferd ("Nicht Essen! Nicht trinken!") ohne dem Reiter zu erklären, wie er das umsetzen sollte. Auf etwa halber Strecke am ersten Tag hinkte Hannahs Pferd so weit hinterher, dass einer der Führer es einfach an die Leine nam und für den Rest des Tages hinter sich her zog. Nicht die ermutigendste oder vertrauensbildendste Einführung ins Reiten.
Reittour zum See Song-Kul - auf dem Weg zum Kelimche-Tal
Wir verbrachten die Nacht in einem Jurten-Lager im Kelimche-Tal und ritten am nächsten Tag weiter über einen Pass zum Song-Kul. Hannah hatte ihr Pferd gegen das von Heiko getauscht und das junge Pferd ignorierte zuerst auch ihn, aber nachdem einer der Führer es mit der Peitsche geschlagen hatte, war es einfacher zu kontrollieren und der Treck verlief etwas reibungsloser. Als wir die großen Weideflächen am See erreichten, wollten einige der Pferde galoppieren und einige der Gruppe auch, so dass wir keine Wahl hatten und hinterher galoppieren mussten (da wir unsere Pferde eh nicht hätten stoppen können, selbst wenn wir gewollt hätten). Ohne jegliche Ahnung von vernünftiger Körperhaltung auf dem Pferd, konnten wir uns bloß irgendwie festhalten während wir unkontrolliert umherhüpften. Als wir endlich am Jurten-Lager am See ankamen, waren wir so kaputt, dass wir den restlichen Tag Pause machten, während die anderen im See badeten und Kok-Boru, ein traditionelles Spiel auf dem Pferd spielten. Wir bevorzugten stattdessen, das leckere Essen zu genießen und die Konstruktion der Jurten zu bewundern.
Reittour zum See Song-Kul - auf dem Weg hinab zum See
Am nächsten Tag gab es wieder unklare Instruktionen, Hannahs Pferd wurde teilweise wieder hinterhergezogen und wir hüpften wieder unkontrolliert durch die Gegend, doch schafften es letztendlich in ziemlich zerstörtem Zustand zurück nach Kyzart. Ursprünglich wollten wir am nächsten Tag weiter radeln, aber Hannahs Sitzbeine taten noch so weh, dass wir stattdessen lieber einen Tag Pause machten. An diesem Tag trafen wir in unserer Pension einen Führer, der gerade mit seiner Gruppe von einer Reittour zurückgekehrt war und uns nach unserer Tour fragte. Als wir ihm Videos von unserer Gruppe beim Kok-Boru-Spielen zeigten, sagte er (ein älterer Mann und ehemaliger Englischlehrer) in leicht kritischem Tonfall, "Eure Führer spielen ja nur mit sich selbst". Dann zeigte er uns Videos, in denen er seinen Gästen Kok-Boru und andere Reittechniken beibringt. Wir fühlen uns jetzt eher bestätigt, dass wir keine schlechten Reiter sind, sondern bloß Pech mit schlechten Lehrern hatten.
Vom Dorf Kyzart aus war die Straße aufgrund von Baustellen noch für 30km schlecht (20km bis zum Kyzart-Pass und 10km auf der anderen Seite), bevor wir wieder auf Asphalt fahren konnten. Von da an ging es überwiegend bergab zum Issyk-Kul, einem weiteren Bergsee auf einer Höhe von 1600m und der größte See Kirgisistans. Als eines der beliebtesten Touristenziele des Landes, ist das Nordufer des Sees für seine Badeorte bekannt, welche viele Touristen aus Russland und Kasachstan anziehen, während das Südufer eher für den "furchtlosen" Reisenden interessant ist. Da wir mehr als genug Zeit hatten (während wir auf die Ankunft unserer Reisepässe aus Deutschland warten mussten), wollten wir einmal um den ganzen See fahren.
Baktrische Kamele an der Straße zwischen Kochkor und Balykchy
Viele der Radreisenden, denen wir in Kirgisistan begegneten, schienen für die Berge gekommen zu sein und nahmen möglichst schwierige Routen über hohe Pässe auf stets schlechten Straßen in abgelegenen Gegenden. Wir faulen Radler genossen dagegen unsere Tage am Issyk-Kul, auf relativ flachen und guten Straßen, einer besser ausgebauten Tourismus-Infrastruktur und tollen Aussichten im Überfluss, da der See auf allen Seiten von den schönen, schneebedeckten Bergen des Tian Shan umgeben ist. Die Unterkünfte in den Orten am See waren sowohl günstiger als auch komfortabler als zuvor in Kirgisistan und es war auch relativ einfach, ruhige Plätze zum Zelten direkt am Ufer zu finden. So waren unsere Tage in der Region recht entspannt.
Unser Zeltplatz am Ufer des Issyk-Kul zwischen Balykchy und Cholpon-Ata
Wir erreichten den See in Balykchy, einer großen, aber ansonsten nicht weiter interessanten Stadt am nordwestlichen Zipfel des See. Von dort aus radelten wir am Nordufer entlang, an dem wir eine Nacht zelteten, bevor wir in Cholpon-Ata ankamen, dem wahrscheinlich größten und beliebtesten Badeort am See. Wir würden uns niemals als typische Strandurlauber bezeichnen, aber es gefiel uns dort ganz gut, auch weil wir plötzlich als Touristen nicht mehr so auffielen. Eigentlich wollen wir zwei Nächte bleiben, um ein Gewitter abzuwarten, aber Heiko ging es auch nicht so gut, also verlängerten wir unseren Aufenthalt und entspannten am Strand.
Am Strand des Issyk-Kul in Cholpon-Ata
Als wir uns an einem Sonntagmorgen in Cholpon-Ata wieder auf den Weg machten, kamen wir an so vielen Touristen (oder Ausländern) vorbei, die entlang der Straße am Joggen, Radfahren oder sogar Rollski-Fahren waren, dass wir uns für einen Moment in einem anderen Land wähnten. Wir wurden jedoch jäh in die Realität zurück katapultiert, als die glatte, breite Straße, die in Balykchy anfing, mit den letzten Badeorten endete und wieder zu einer schmalen, zusammengeflickten Asphaltstraße wurde. Nach einer weiteren Nacht im Zelt am Nordufer, erreichten wir bald das östliche Ende des Sees, wo die Straße Richtung Süden nach Karakol, der Hauptstadt der Issyk-Kul-Region, abbiegt.
Badende im Issyk-Kul nahe unseres Zeltplatzes zwischen Cholpon-Ata und Karakol
Wir sind einigen Reisenden begegnet, die über Karakol separat vom Issyk-Kul sprachen, was uns zunächst etwas verwirrte. Später wurde uns klar, dass Karakol tatsächlich ein ganzes Stück vom See entfernt liegt und mehr als "Basislager" für Wanderungen in die umliegenden Berge des Tian Shan dient. Wir selbst sind nicht wandern gegangen, sondern haben an unserem Pausentag die Stadt erkundet (während wieder ein Gewitter durchzog). In der Stadt lebt eine ethnisch diverse Bevölkerung und die beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten sind eine alte, hölzerne, russisch-orthodoxe Kathedrale und die Moschee der Dungan (chinesische Muslime), die kurioserweise wie ein chinesischer Tempel aussieht. Leider hat sich Hannah auf dem Rückweg zur Pension den Fuß verstaucht (wieder, den gleichen), so dass wir wieder einen Tag länger blieben und dadurch erfuhren, dass der Besitzer der Pension der Gründer und Pastor der protestantischen Kirche im Ort ist!
Hölzerne, russich-orthodoxe Dreifaltigkeits-Kathedrale aus dem Jahre 1895 in Karakol
Es muss in den Bergen ziemlich heftig geschneit haben, als es in Karakol geregnet hat, so dass die Berge noch schöner aussahen, als wir uns wieder auf den Weg machten. Wir wissen nicht, was am Südufer die "furchtlosen" Reisenden anzieht, aber wir können mit Sicherheit sagen, dass die Aussicht von dort aus besser ist, da man die Sonne im Rücken hat, wenn man auf den See und die Berge auf der anderen Seite blickt. Nach noch einer Camping-Nacht statteten wir auf dem Weg nach Bokonboevo der Skazka-("Märchen")-Schlucht einen Besuch ab. Dabei handelt es sich um einen schönen, kleinen Canyon, der seinen Namen aufgrund der mystischen Formen und Farben seiner Felsen erhalten hat.
Verloren in der Skazka-(Märchen)-Schlucht
Kurz vor Bokonbaevo führt die Straße weg vom See und in die Berge zu einem Pass auf ~2000m Höhe (was wir für hochgradig unnötig hielten). Nachdem wir wieder hinab zum See gerollt waren, zelteten wir ein letztes mal am Südufer. Am nächsten Tag war es gar nicht mehr weit nach Balykchy, wo wir es dennoch genug sein ließen, da für den Nachmittag schon wieder ein Gewitter vorhergesagt war. Wir stiegen in einem günstigen Hotel mit Blick auf den See ab, was ein passendes Ende für unsere Tour um den Issyk-Kul war.
Da unsere Reisepässe noch immer nicht in Bischkek eingetroffen waren, hatten wir es nicht besonders eilig und blieben drei Nächte in Balykchy (während wir versuchten, wegen unserer verlorengegangenen Pässe nicht in Panik zu verfallen). Von dort aus war es eine lange Abfahrt nach Bischkek, auf einer der besten Straßen des Landes, die wir in drei entspannten Tagen auf dem Rad bewältigten. Unterwegs machten wir noch einen Zwischenstopp beim Burana-Turm. Nur einen Tag vor unserer Ankunft in Bischkek schickte unsere Freundin dort die frohe Nachricht, dass unsere Reisepässe endlich angekommen waren - was für eine Erleichterung, und gerade rechtzeitig!
Bischkek ist eine relativ neue, sowjetische Planstadt mit nur wenigen Sehenswürdigkeiten, die wir an einem Nachmittag abklapperten. Wie immer, wenn wir in einer großen Stadt sind, haben wir außerdem alle möglichen Einkäufe erledigt und dies und jenes für die Fahrräder und die Ausrüstung gefunden. Gewohnt haben wir nach langer Zeit zum ersten Mal wieder bei einer Couchsurfing-Gastgeberin. Überrascht hat uns, dass Russisch die am meisten verwendete Sprache hier in der Hauptstadt ist, anstelle von Kirgisisch, was, wie man erwarten würde, im restlichen Land vorherrscht. Nach ein paar Tagen in der Stadt (und fast zwei Monaten im Land), war es endlich an der Zeit, nach Kasachstan weiter zu fahren, über die nur 20km nördlich von Bischkek gelegene Grenze.