An unserem ersten Tag in Kirgisistan haben wir mehr Reiseradler als an jedem anderen Tag bisher getroffen: Am tadschikischen Grenzposten kamen wir zusammen mit drei Radlern an, die wir zwei Tage zuvor in Karakul kennengelernt hatten. Auf der anderen Seite trafen wir dann auf drei weitere Radfahrer, darunter ein belgisches Paar, die gerade ihre Fahrräder aus einem Jeep ausluden - sie hatten nur drei Wochen Urlaub und sich bis an die Grenze hinauf fahren lassen, um mehr Zeit für den Pamir zu haben. Ganz oben auf dem Pass, nur kurz hinter dem tadschikischen Grenzposten, begegneten wir zwei Solo-Radreisenden und auf der ca. 20km langen Abfahrt durch's Niemandsland zwischen dem Pass und dem kirgisischen Grenzposten trafen wir einen österreichischen Radler und ein schweizerisch-chinesisches Paar.
Der lange Abschnitt durch's Niemandsland zwischen den beiden Grenzkontrollen wird anscheinend von keinem der beiden Länder instandgehalten, wobei sich der schlimmste Abschnitt nahe des Passes auf der kirgisischen Seite befindet, wo die Straße aus verdichteter, roter Erde besteht, die sich Berichten zufolge bei Regen in Schlamm verwandelt. Glücklicherweise war der Regen des Vorabends bereits getrocknet, als wir dort ankamen. Auf der kirgisischen Seite muss es deutlich mehr regnen, da die Landschaft sofort auffallend grüner war als alles, was wir auf dem Pamir-Plateau gesehen hatten.
Hannah genießt das üppige, grüne Gras nach so langer Zeit in der Hochgebirgswüste des Pamirs
Nachdem wir die kirgisische Grenzkontrolle passiert hatten, erreichten wir ein weites Plateau, das sanft in Richtung des Dorfes Sary Tash abfällt. Die Einheimischen nutzen dieses große Plateau aus Sommerweide ("Jailoo") und wir sahen überall viele Jurten und Pferde. Leider waren auch die Terror-Kids in großer Zahl an diesem Straßenabschnitt unterwegs und wir haben einige Berichte gelesen, laut denen die Kinder Radfahrer umzingeln und dann versuchen, alles, was nicht fest ist, vom Fahrrad zu klauen. Wir waren glücklicherweise bergab unterwegs und konnten ihnen größtenteils durch hohe Geschwindigkeit entkommen.
Jurten auf der weiten Jailoo (Sommerweide) auf dem Weg nach Sary Tash
In Sary Tash haben wir erstmal einige Unterkünfte abgeklappert um eine zu finden, die in unser Budget passte. Für so ein kleines, abgelegenes Dorf (jedoch durchaus auf der Touristenroute), waren wir über die relativ hohen Preise überrascht, haben jedoch seitdem festgestellt, dass Unterkünfte in Kirgisistan generell teurer als in den letzten paar Ländern sind. Dennoch waren wir froh, nach zwei Wochen im hohen Pamir unter einfachen Bedingungen, nun wieder Strom (für warme Duschen mit gutem Wasserdruck!) und fließend Wasser (für Toilettenspülung!) zu haben.
Das Dorf Sary Tash, mit dem Transalaigebirge im Hintergrund
Am nächsten Morgen trafen wir die drei Radler wieder, die wir zuerst in Karakul getroffen hatten, obwohl wir in verschiedenen Unterkünften übernachtet hatten, und brachen zusammen auf. Sie waren schneller als wir auf dem Weg hinauf zum Taldyk-Pass, wo wir sie wieder einholten, als sie eine lange Pause machten. Da hinter uns dunkle Gewitterwolken aufzogen, verschwendeten wir keine Zeit auf dem Pass, sondern düsten schnell die beeindruckende Serpentinenstraße auf der anderen Seite hinab. Wir überholten uns mit den anderen drei Radlern immer mal wieder, während wir Richtung Gul'cha eilten und versuchten, dem Gewitter zu entkommen, dass direkt hinter uns das üppige, grüne Tal hinab zog. Unterwegs wurden wir von einer weiteren Gruppe Terrorkinder angegriffen, den schlimmsten, denen wir je begegnet sind. Sie schrien uns an, bewarfen uns mit Steinen und machten obszöne Gesten. Wir fragten uns wirklich, wo die Kinder solches Verhalten lernen, während unsere Hoffnungen für Zukunft der Menschheit weiter schwanden. Außerdem sahen wir so viele andere Radreisende, dass wir nicht mal mehr bei jedem anhielten, um uns zu unterhalten. Ursprünglich wollten wir in dieser Nacht zelten, aber bei dem drohenden Gewitter landeten wir alle (wir, die anderen drei Radler und eine weitere Radreisende, die sie unterwegs getroffen hatten) in derselben Pension in Gul'cha.
Die beeindruckende Serpentinenstraße hinab vom Taldyk-Pass (3615m) nach Gul'cha
Regenbogen in den Bergen auf dem Weg nach Gul'cha
Am nächsten Tag waren die anderen Radler wieder schneller als wir auf dem Weg hinauf zum Chyiyrchyk-Pass, wo wir sie ein letztes Mal einholten, gerade als sie wieder aufbrachen. Von dort war es eine lange Abfahrt nach Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgisistans, für wo wir eine lange Pause geplant hatten, um uns zu erholen und nach dem Pamir endlich mit Planungs- und Wartungsaufgaben weiter zu kommen. Wir hatten eine Airbnb-Wohnung in einem der höchsten Gebäude der Stadt mit Aussicht auf den Suleiman-Too, den zum UNESCO-Welterbe zählenden, heiligen Berg, der sich abrupt mitten in der Stadt aus der umliegenden Ebene erhebt. Wir haben uns etwas Zeit genommen, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu besuchen: Den Suleiman-Too und seine Höhlen, wo einheimische Pilger die Hilfe des heiligen Berges bei Fruchtbarkeitsproblemen suchen; den Jayma-Basar, einer der größten und ältesten Zentralasiens, der seit über 2000 Jahren am selben Ort besteht; und größte, noch stehende Lenin-Statue Zentralasiens. Den Großteil unserer acht Tage in der Stadt haben wir jedoch in der Wohnung verbracht, diese Website aktualisiert, unsere restliche Route durch Kirgisistan geplant und unsere Visa für China beantragt - die mit Abstand kompliziertesten und teuersten Visa unserer Reise. Da die meisten chinesischen Botschaften für Anträge einen Wohnsitz im jeweiligen Land voraussetzen, mussten wir unsere Reisepässe zusammen mit den Anträgen, einem vollständigen, tagesgenauen Reiseplan, Flug- und Hotelbuchungen (wir haben voll rückerstattungsfähige "Pseudo"-Buchungen gemacht) per Post nach Deutschland schicken. Eine imaginäre 90-tägige Reise zu planen, die Formulare auszufüllen, alles auszudrucken und es letztendlich zu verschicken hat uns gut zwei Tage gekostet (aber es hat sich gelohnt, da wir nun die 90-Tage-Visa bekommen haben!!).
Theoretisch hätten wir von Osch aus eine Abkürzung durch das Ferghana-Tal in Usbekistan nehmen können, um wieder auf die Hauptstraße nach Bischkek zu kommen. Ohne Reisepässe mussten wir jedoch in Kirgisistan bleiben und die Hauptstraße entlang des Randes des Ferghana-Tals über Özgön und Dschalal-Abad nehmen. Wir fanden diesen Abschnitt nicht so interessant (selbst die archäologische Stätte in Özgön war nur so naja) und obwohl keine Terror-Kinder mehr unterwegs waren (wahrscheinlich weil die Hauptstraße zu verkehrsreich und gefährlich ist), hatten wir es nun mit Terror-Fahrern zu tun. Kirgisische Fahrer zählen zu den aggressivsten und rücksichtslosesten, denen wir auf dieser Reise begegnet sind (sonst fallen uns nur die Georgier als noch gefährlicher ein, weil dort so oft Alkohol im Spiel ist). Sie fahren alle viel zu schnell, überholen einander aggressiv (sogar wenn sie den Gegenverkehr nicht sehen können, oder in zweiter Reihe), schneiden Kurven extrem eng und fahren oft extrem nah an uns vorbei. Durch all das haben wir manchmal kaum genug Platz zum radeln. Dazu kommt das Gehupe - nicht so schlimm wie im Iran oder in Usbekistan, aber immer noch ziemlich wahnsinnig. Einige scheinen uns zum Gruß anzuhupen (eher hupen-und-anstarren als hupen-und-winken), einige um uns zu warnen (oft unmittelbar neben uns, so dass sie uns taub machen ohne uns Zeit zum reagieren zu geben) und einige fangen schon so weit weg mit dem Lärmen an, als ob sie uns einfach aus dem Weg haben wollen. Es ist schwer genug, besonders wenn es bergauf geht, in einer gerade Linie zu fahren, aber bei der kleinsten Abweichung, fangen die Fahrer panisch an zu hupen, da sie auf keinen Fall bremsen oder mehr Platz lassen wollen. Heiko haben die haarsträubendsten dieser Manöver und der Lärm sehr aufgeregt, während Hannah sich mit dem Verkehr mehr oder weniger arrangiert hatte und eher von Heikos Wutausbrüchen genervt und beunruhigt war.
Als wir das Ferghana-Tal hinter uns gelassen hatten und Richtung Norden in die Berge abgebogen waren, wurde die Landschaft wieder interessanter. Die Straße verläuft entlang des schockierend blauen Fluss Naryn, der in regelmäßigen Abständen zur Stromgewinnung aufgestaut wird und mehr wie eine Reihe langer, stiller Seen erscheint. Wir radelten den ganzen Weg am Fluss entlang bis Toktogul, einem weiteren großen Stausee. Letztendlich blieben wir für vier Nächte in der Kleinstadt Toktogul, da wir abwarten wollten, bis das stürmische Wetter auf dem Ala-Bel-Pass vorüber war.
Die Berglandschaft am Fluss Naryn zwischen Tasch-Komur und Karaköl
Sonnenuntergang am See Toktogul
Hinter Toktogul wurde die Straße breiter, der Verkehr weniger, und Heiko war wesentlich weniger gestresst. Es war ein langer Anstieg hinauf zum Ala-Bel-Pass, der mit 3175m über dem Meeresspiegel der höchste Punkt ist, den wir in Kirgisistan befahren werden. Am ersten Tag kamen wir gut voran und bewältigten 1400 Höhenmeter, was für uns ein neuer Rekord ist. Zu Beginn war das Tal üppig und grün, mit vielen schattigen Picknickplätzen am Fluss Chychkan, aber als wir die Baumgrenze überschritten, sahen wir wieder Jurten. Wir hatten gelesen, dass einige Jurten schon Ende August abgebaut werden, da der Sommer zuneige geht und die hochgelegenen Weiden trockener werden, und tatsächlich sahen wir, wie einige Jurten zusammengepackt wurden und konnten sogar einige "Abdrücke" erkennen, wo vorher Jurten standen. Viele Jurten waren jedoch noch da, als wir vorbeikamen.
Wir fanden einen Platz zum Zelten am Fluss Chychkan und radelten am nächsten Tag die restlichen 800m zum Pass hoch. Dieser Abschnitt war unerwartet steil und nahm viel mehr Zeit in Anspruch, als wir erwartet hatten. Nachdem wir es jedoch endlich nach oben geschafft hatten, folgte eine schöne, lange Abfahrt ins Suusamyr-Tal mit dem Suusamyr-Fluss. Das Tal war weiter und sanfter als das Tal, durch das wir herauf gefahren waren und voller Jurten und Pferde. An manchen Stellen standen so viele Jurten am Straßenrand (die alle das Gleiche verkauften - Kymys, Kurut, usw.), dass es uns dort oben wie eine geschäftige Kleinstadt vorkam. Am Ende des Sommers muss es dort jedoch ganz anders aussehen, wenn alle Jurten abgebaut sind, da es dort oben kaum feste Gebäude gibt.
An einem kleinen Zufluss des Suusamyr fanden wir noch einen netten Platz zum Zelten und setzten am nächsten Tag unsere Abfahrt durch's restliche Tal fort. Am Ende des Tals steigt die Hauptstraße wieder steil an zum Too-Ashuu-Pass und anschließend hinab nach Bischkek. Wir bogen jedoch gleich zu Anfang des Anstiegs auf eine Nebenstraße ab, die zuerst weiter bergab in die Ortschaft Suusamyr und dann durch ein enges Tal entlang des Flusses Kokomeren bis nach Aral führt. Wir hatten online in Erfahrung gebracht, dass diese ganze Straße unbefestigt sein sollte. Zwei andete Radler, die wir kurz zuvor getroffen hatten, erzählten uns jedoch, dass die Straße aus gutem Asphalt sei, so dass wir Hoffnung hatten, dass die Straße vielleicht vor kurzem erst asphaltiert wurde. Leider stellten sich unsere Online-Recherchen als korrekt heraus, so dass wir es mit 85km welliger Schotterstraße zu tun hatten (glücklicherweise immerhin bergab). Landschaftlich war das Tal mit den steilen, roten Bergen am reißenden Fluss jedoch sehr schön und außerdem gab es sehr wenig Verkehr. Ursprünglich wollten wir an dem Tag das Dorf Kyzyl-Oi erreichen, wo es ein Büro für "Community Based Tourism" (CBT, gemeinschaftsbasierter Tourismus) und mehrere Privatunterkünfte gibt, aber die schlechte Straße hat uns so sehr ausgebremst, dass wir wieder am Fluss gezeltet haben.
Die Berglandschaft am Fluss Kokomeren zwischen Suusamyr und Aral
Rote, farbig gestreifte Berge am Fluss Kokomeren zwischen Suusamyr und Aral
Am nächsten Tag radelten wir dann weiter nach Aral, wo wir etwas zu essen kaufen wollten, aber Terrorkinder zielten mit Pfeil und Bogen auf uns, so dass wir schnell fliehen mussten. Hinter Aral steigt die Straße wieder leicht an in Richtung Kyzart-Pass. Der erste Abschnitt war perfekt asphaltiert, was wir nach dem vorherigen schlechten Teil sehr zu schätzen wussten, aber es dauerte nicht lang, bis die erste Baustelle auftauchte - die Straße wurde gerade in Abschnitten erneuert und erweitert und es gab lange Abschnitte, die komplett unbefestigt waren. Dennoch war es eine erstaunlich leichte Fahrt, mit gutem Rückenwind und Schatten auf der mit Bäumen gesäumten Straße. Unterwegs kamen wir an mehr Friedhöfen als Dörfern vorbei, von denen viele selbst wie kleine Dörfer aussahen, da auf den Gräbern oft kleine Mausoleen standen. Nach zwei Tagen erreichten wir das Dorf Kyzart, das dem Bergsee Song-Kul am nächsten liegt.