Nachdem wir uns von unseren freundlichen Gastgebern in Kitob verabschiedet hatten, radelten wir eine lange, flache Strecke nach Guzar, wo wir keine Pension oder Hotel finden konnten und letztendlich in einem leerstehenden Raum eines Restaurants schliefen. Das Essen war gut und bezahlbar (laut Speisekarte) und als wir einen Mitarbeiter nach dem Preis für den leerstehenden Raum fragten, gestikulierte er (soweit wir es verstanden), dass er sehr günstig oder kostenlos für uns sein würde. Aber als wir am nächsten Morgen für unseren Aufenthalt bezahlen wollten, addierte er eine lange Liste Zahlen in seinem Taschenrechner und kam auf 60€! Als wir uns beschwerten und auf die Speisekarte zeigten, rechnete er nochmal, aber immer noch mit ein paar ausgedachten Zahlen, die letztendlich auf ca. 20€ hinausliefen. Schon wieder müde von der heißen und schlaflosen Nacht, akzeptierten wir die Rechnung widerwillig, aber fuhren mit schlechter Laune die Berge Richtung Boysun hinauf.
Bald stellten wir fest, dass die Leute südlich von Samarkand in ihrem Verhalten gegenüber uns wieder mehr den Iranern ähnelten: aufringlicher, lauter und aufmerksamkeitsbedürftiger als die Menschen, die wir vorher in Usbekistan getroffen hatten. Viel zu oft fuhr links von uns ein hupendes Auto vorbei, Leute in der Nähe riefen uns alles Mögliche zu, während wir uns darauf konzentrieren mussten, die allgegenwärtigen Schlaglöcher auf der Straße zu umfahren. Die bloße Zahl der Hupsignale allein machte uns schon wahnsinnig: wir zählten im Schnitt ca. ein hupendes Fahrzeug pro Minute. Bei 5-7 Stunden auf der Straße heißt das, dass uns Tag für Tag 300-400 Fahrzeuge anhupten. Einige hupen nur einmal, andere jedoch viel öfter oder fahren mit Dauerhupe vorbei, dass es in unseren Ohren klingelt. Es ging auch wieder mit den Selfies los, wie im Iran, wo Leute vor uns anhielten oder uns am Straßenrand heranwinkten und zuriefen, dass wir anhalten sollten, damit sie ein Foto mit uns machen könnten. Die schlechten Straßen machten alles nur noch schlimmer. Zweimal übersah Heiko einen Buckel oder ein Schlagloch auf dem Weg einen Berg hinab und stürzte. Einmal machte das schwere Fahrrad dabei sogar einen Vorwärtssalto und warf Heiko über den Lenker ab, der aber wie durch ein Wunder auf den Füßen landete und nur ein paar Kratzer von dem hinterherfliegenden Fahrrad abbekam. Es muss ziemlich schlimm ausgesehen haben, aber der LKW-Fahrer, der den Unfall gesehen haben muss, tat nur, was wir hätten erwarten sollen - er drückte im Vorbeifahren auf seine extrem laute Hupe.
Heiko hatte auf der Straße mehrere Beinahe-Nervenzusammenbrüche von all dem Lärm und Reizüberflutung. Hannahs Strategie war es dagegen, sich in ihre eigene Welt zurückzuziehen und alle um sie herum zu ignorieren. Heiko war sich ziemlich sicher, mit Gesten (und manchmal Schimpfwörtern) gegenüber ein paar langsam vorbeifahrenden Fahrern erfolgreich seine Unzufriedenheit mit ihrem Gehupe ausgedrückt zu haben, nur um sie dann zu Hannah weiterfahren zu sehen, wo sie wieder hupten. Wir wissen nicht, warum die Leute oft so laut sprachen, obwohl sie direkt neben uns standen, warum sie uns unbedingt von weit weg Fragen zubrüllen und uns heranwinken mussten und anscheinend erwarteten, dass wir unsere Antworten so laut wir können zurückbrüllen oder weit von der Straße abzuweichen, um sie zu treffen, oder warum sie so unglaublich unerträglich zu sein schienen. Trotz der schönen Landschaft hatten wir oft wirklich keine Freude daran, auf der Straße zu sein, und während wir versuchten, die Menschen so gut es ging zu meiden, fragten wir uns, ob wir einfach komplett reisemüde geworden waren.
Es war aber auch nicht alles schlecht. Die Landschaft ab Guzar war wirklich sehr beeindruckend, als wir die westlichsten Ausläufer des Gissar-Gebirges mit ihren vielen Schluchten und interessanten Felsformationen überquerten. Auf unserem Weg hinauf nach Boysun fanden wir einen richtig schönen Platz zum Zelten, durch eine Klippe vor der sengenden Sonne geschützt und an einem kleinen Bach, in dem wir uns zum ersten Mal vor dem Schlafen im Zelt vernünftig waschen konnten.
Nachdem wir nach einem langen Tag die Berge hinauf spät in Boysun angekommen waren, gingen wir nach Einbruch der Dunkelheit raus, um zu Abend zu essen, aber hatten bloß ein paar merkwürdige und aufdringliche Begegnungen mit (wahrscheinlich betrunkenen) Leuten, die unserem Eindruck der Einheimischen nicht gerade zuträglich waren. Die Menschen, die wir jedoch am nächsten Tag trafen, stellten sich als sehr freundlich heraus. Wir streiften über den großen Basar und besuchten das Kunsthandwerkszentrum, dessen Museum die regionalen Teppich- und Stoff-Stile zeigt. Nach dem Niedergang der alten Seidenstraße wurden Boysun und die Umgebung relativ isoliert, wodurch einzigartige Volkskulturen und Traditionen erhalten blieben, die sogar von der UNESCO für ihr immaterielles Kulturerbe anerkannt wurden.
Traditionelle Teppiche und Stickarbeiten im Museum des Kunsthandwerkszentrums von Boysun
Nach Boysun freuten wir uns auf eine 40km lange Abfahrt, die wir aber leider aufgrund der schlechten Straßen und dem starken Gegenwind (und natürlich der hupenden Autos) nicht genießen konnten. Als wir fast am Ende der Abfahrt waren, spürten wir plötzlich einen Schwall heißer Luft, als ob jemand vor uns eine Ofentür geöffnet hätte. Oben in den Bergen war es schon heiß, aber die tieferen Ebenen um Denov waren erwartungsgemäß noch heißer. Die Straße in der Ebene nach Denov war dann so unerwartet hügelig, dass wir erst ziemlich spät und völlig erschöpft in Denov ankamen und beschlossen, dort noch einen Tag Pause zu machen. Denov hat nicht viele Sehenswürdigkeiten zu bieten, so dass wir hauptsächlich an diesem Blog arbeiteten, Essen kauften und zufällig einen einheimischen Couchsurfer trafen, mit dem wir uns eine Weile unterhielten.
Kyzyl-("roter")-Canyon direkt hinter Boysun an der Straße nach Denov
Straßenschild im Gissar-Gebirge, auf unserem Weg hinab von Boysun nach Denov
Gemüsemarkt vor der Said-Atalyk-Madrasa aus dem 16. Jh. in Denov
Wir konnten immer noch nicht so richtig begreifen, warum wir von den Einheimischen so genervt waren, und warum wir ständig über unsere Toleranzgrenzen getrieben wurden, wodurch wir auf solch gewalttätige Gedanken kamen, die sogar uns selbst schockierten. Wir dachten mit Ungeduld, aber auch Sorge, an unser nächstes Land, Tadschikistan, über das wir gelesen hatten, dass die Leute dort wesentlich weniger hupen. Konnte es wahr sein?